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Prof. Oldenburg erläutert neue Therapieansätze.

Story

Das Hämophilie-Zentrum der Universitätsklinik Bonn ist deutschlandweit das Größte seiner Art. Hier wird rund ein Fünftel aller schwer betroffenen Patienten mit Blutererkrankungen behandelt. Prof. Dr. med. Johannes Oldenburg, Direktor am Zentrum für Seltene Erkrankungen in Bonn, erläutert, welche neuen Therapieansätze es gibt und wie sie ein nahezu normales Leben ermöglichen.
 

Prof. Oldenburg, was ist charakteristisch für die Krankheit Hämophilie?

Die Hämophilie ist eine erbliche schwere Störung der Blutgerinnung, bei der der Gerinnungsfaktor VIII beim Typ A oder IX beim Typ B fehlt. Dadurch kann es zu unterschiedlich schweren – mitunter sogar lebensgefährlichen – Blutungen in Muskulatur, Gelenken oder inneren Organen kommen. Die ersten Symptome, in der Regel Hämatome, treten auf, wenn ein Kleinkind anfängt zu krabbeln. Ab diesem Zeitpunkt kann es jederzeit auch zu Gelenkblutungen kommen.

Wie unterscheiden sich heutige Beschwerden im Vergleich zu früher?

Vor 1960 hatten Hämophilie-Patienten eine mittlere Lebenserwartung von weniger als 20 Jahren, alle großen Gelenke waren bereits im jugendlichen Alter zerstört. Erst die regelmäßige Gabe von Gerinnungsfaktorkonzentrat ab Anfang der 1970er-Jahre reduzierte die Gelenkblutungen. Auch heute sind Gelenkschäden nicht immer vermeidbar, jedoch treten sie oft erst im Erwachsenenalter auf

Wie sieht eine gute Prophylaxe aus?

Hämophilie-Patienten spritzen sich etwa dreimal pro Woche intravenös ein Gerinnungsfaktorenkonzentrat. Ziel ist es, eine Mindestaktivität des Gerinnungsfaktors von ein bis zwei Prozent aufrechtzuerhalten. Damit kann die Zahl von Blutungsereignissen stark verringert werden.


Gibt es neue Therapien, mit denen Blutungen weiter reduziert werden?

Ja, inzwischen stehen neue gentechnisch hergestellte Faktorenkonzentrate mit verlängerter Wirkdauer zur Verfügung. Die Technologien hierfür sind Modifikationen der F8-Protein-Sequenz, Fusionen des Gerinnungsfaktors VIII/IX mit einem Albumin oder IgG-Anteil sowie Pegylierung, wobei es sich um eine chemische Modifikation des FVIII/FIX-Proteins handelt. Damit wird die Halbwertszeit für den Gerinnungsfaktor VIII von zwölf auf 18 Stunden und für den Faktor IX von 20 auf 100 Stunden verlängert. Dies erlaubt es Hämophilie B-Patienten, sich bei verbessertem Blutungsschutz nur noch alle ein bis zwei Wochen spritzen zu müssen.


Könnte es für Hämophilie-Patienten künftig möglich sein, ein nahezu normales Leben zu führen?

In klinischen Studien sind derzeit kleine Biomoleküle, die nur noch alle ein bis vier Wochen unter die Haut gespritzt werden. Diese imitieren die FVIII-Aktivität oder hemmen Gegenspieler der Gerinnung wie das Antithrombin oder das TFPI-Protein. Vielversprechend scheinen auch Gentherapie-Studien der Hämophilie A und B zu sein, wo FVIII-/FIX-Wirkspiegel von über 30 Prozent erreicht und damit spontane Blutungen verhindert werden.

Quelle: Das Interview erschien am 30. Januar 2017 in der Sonderbeilage „Seltene Krankheiten" der Tageszeitung „DIE WELT".