Man stelle sich vor, wie spontane Schwellungen an verschiedenen Körperteilen, einschließlich Bauch, Händen und Gesicht, extreme Beschwerden und oft starke Schmerzen verursachen. Noch besorgniserregender: Tritt eine solche Schwellung im Rachenraum auf, besteht erhebliche Erstickungs- und möglicherweise Lebensgefahr.
Diese beunruhigende Vorstellung entspricht den Problemen von Patienten mit hereditärem Angioödem. Viele von ihnen müssen jahrelang unter einer Reihe dieser Symptome leiden, bevor sie die richtige Diagnose und eine wirksame Behandlung erhalten. Mehr noch – da viele Mediziner nicht einmal wissen, dass es diese seltene Krankheit gibt, bleibt die Diagnose schwierig. Unbehandelt kann ein Anfall im Durchschnitt von einem Tag bis zu drei Tagen, in einigen Fällen auch mehr als eine Woche dauern.
Wie selten ist selten?
HAE betrifft weltweit ungefähr 1 von 10.000 bis 50.000 Menschen jeden Alters. Konservativ geschätzt wären damit in der EU etwas mehr als 10.000 Menschen betroffen – es könnten jedoch auch bis zu 52.000 sein.
Das hereditäre Angioödem (HAE) wird vorwiegend durch den Mangel eines Plasmaproteins verursacht, das als C1-Esterase-Inhibitor (C1-INH) bezeichnet wird. Gleichzeitig gibt es aber auch Patienten, deren C1-INH-Spiegel ausreichend hoch ist, das Protein funktioniert jedoch nicht richtig. Die Erkrankung ist erblich, da der C1-INH-Defekt im genetischen Codes eines Menschen verankert ist und daher familiär auftritt. Genau genommen besteht eine Wahrscheinlichkeit von 50 %, dass ein Elternteil mit dem Defekt diesen an sein Kind weitergibt.
Die gute Nachricht ist, dass die Krankheit behandelt werden kann. In diesem Jahr wird das 40-jährige Jubiläum einer C1-INH-Ersatztherapie gewürdigt. Die Patienten profitieren seit vier Jahrzehnten von dieser Therapie, doch die HAE-Geschichte reicht viel weiter zurück:
Über 100 Jahre HAE-Forschung
1888, also vor mehr als 100 Jahren, beschrieb der bekannte kanadische Arzt William Osler HAE zum ersten Mal und verwies dabei auf die erbliche Natur der Krankheit. Es dauerte jedoch weitere 75 Jahre, bis die Ursache der Erkrankung gefunden wurde und man sich mit einer möglichen Therapie befasste.
Der größte Durchbruch für HAE-Patienten erfolgte dann im Jahr 1979, als die erste C1-INH-Ersatztherapie von der deutschen Zulassungsbehörde zur intravenösen Behandlung der akuten Schwellung anerkannt wurde.
Heute ist die Forschung einen entscheidenden Schritt weiter: Die Behandlung ist auch als prophylaktische Anwendung verfügbar, bei der der C1-INH subkutan verabreicht wird.
Auch 40 Jahre nach der ersten Zulassung hat die C1-INH-Ersatztherapie von der intravenösen bis zur subkutanen Anwendung also nach wie vor einen großen Einfluss auf das Leben der Patienten. C1-INH-Therapien ermöglichen es den Patienten, ein viel besseres Leben mit weniger Schmerzen und weniger Angst vor HAE-Attacken zu führen. Und auch für die Zukunft können sich HAE-Patienten darauf verlassen, dass kontinuierlich an Verbesserungen und Weiterentwicklungen ihrer Medikamente gearbeitet wird.
Und genau das wurde am 31. August in Marburg mit Experten aus aller Welt gewürdigt.